Perspektive aus der Umlaufbahn

Tag 911

Nach zwei Monaten unter Dauerstrom nun mein erstes Fazit:

Wow … die Geschwindigkeit auf meinem aktuellen Orbit ist schwindelerregend!

Was das genau bedeutet? Nun ja, mein Fokus liegt maßgeblich auf den Studienrichtungen der Physik und den Physikalischen Ingenieurwissenschaften an der Technischen Universität Berlin als auf Psychologie an der Fernuni Hagen. Und das ist anspruchsvoller, als ich zuvor annahm. In meinem gesunden Übermut, der ja, aus meiner Sicht und auf mich selbst bezogen, so eine Eigenschaft von mir darstellt, belegte ich gleich zum Semesterstart sechs Module; drei pro Studiengang: In Physik sind das „Experimentalphysik I“, „Astrophysik I“ und „Mathematik für Physiker I“; in Physikalische Ingenieurwissenschaften sind es „Mechanik I“, „Elektrotechnik“ und „Darstellung technischer Systeme“. Das ist somit das doppelt bis dreifache, was sich ein normaler Bachelor-Student überhelfen würde. Parallel dazu läuft das Psychologie-Studium. Das heißt, viel lesen, viele Online-Vorlesungen anschauen, die teilweise bis zu zweieinhalb Stunden Laufzeit haben, jedoch durch Pausen und Notizen nicht selten das Doppelte an Zeit kosten. Nebenbei muss ich auch etliche Kapitel im Grundlagenbuch der Psychologie lesen und ebenfalls mit Hilfe von Notizen verinnerlichen. Als wäre das noch nicht genug, wird die Teilnahme an diversen Gruppenarbeiten bewertet und geht mit in die Semesternote ein. Und da besteht aktuell der Knackpunkt. Mir fehlt schlicht weg Zeit, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Ich schaffe es einfach nicht.

Doch dieser Zustand war mehr als vorhersehbar. Lieber die Latte höher stecken und runter regeln, als von Anfang an zu niedrig dosiert an den Start gehen. Und das musste ich leider gegen die Überzeugung meines Egos tun. Ich reduzierte mein Module an der TU von sechs auf vier, Astrophysik I und Experimentalphysik I müssen warten, und habe Psychologie leider schleifen lassen. Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass Prozesse die Eigenschaft haben, dass sie Teil einer Wandlung sind und dazu da sind, das Verhalten neuen Ereignissen beziehungsweise Entscheidungen anzupassen. Mein Entschluss, drei Bachelor zu schaffen, bleibt konstant. Ich muss nur meine Strategie ändern. Denn Uni allein, macht auch nicht glücklich. Der Versuch, alles so durchzuziehen, ist schon allein daran gescheitert, dass mein Schlafpensum bei gar nicht bis maximal drei Stunden in der Nacht lag. Und trotzdem war die Erfüllung der notwendigen Anforderungen nicht realisierbar gewesen. Darunter litt nicht nur meine Konzentration und damit die Qualität der Aufgabenbearbeitung, sondern auch mein allgemeines Wohlbefinden ging in den Keller. Ich wurde gereizter, bekam Versagungs- und Verlustängste und das übertrug sich automatisch auf meine Liebsten. Das war gar nicht gut!

Nun muss ich allerhand nachholen in den verbleibenden Modulen „Mathematik für Physiker I“, „Mechanik I“, „Elektrotechnik I“, „Darstellung technischer Systeme“ und „Einführung in die Psychologie“. In den Weihnachtsferien werde ich versuchen, so weit aufzuholen, wie es geht. Doch es sind nur zwei Wochen. Davon sind alle vier Kinder eine Woche lang bei mir und haben Ferien. Das wird also mehr als schwierig. Bleibt nur noch eine Woche und in dieser ist auch noch Weihnachten.

Zu guter Letzt droht das Jobcenter schon wieder mit Kürzung, weil sie mir unterstellen, einen Bausparvertrag gekündigt und das Geld unterschlagen zu haben. ICH HATTE NOCH NIE EINEN BAUSPARVERTRAG!!! Das ist wirklich die Krönung. Nun soll ich die Kontoauszüge von einem bestimmten Monat im Frühjahr 2019 als Beweis nachreichen. Doch ich war Anfang des Jahres bis Herbst nicht mehr am Auszugsdrucker und die Auszüge werden nicht online offengelegt beziehungsweise auch nicht per Mail oder automatisch per Post versandt. Somit fehlen mir genau diese. Ich habe nun ein halbes Jahr Kontoauszüge kostenpflichtig vor einer Woche in Auftrag gegeben. Ich habe eine Einreichungsfrist vom Jobcenter bis 22.12.2019. DAS IST EIN SONNATG!!! Somit muss ich bis spätestens diesen Freitag die Kontoauszüge einreichen. Heute war immer noch nichts im Briefkasten. Das kann doch echt alles nicht wahr sein. Zudem ist das Jobcenter echt so dreist und betont im Weiterbewilligungsantrag, dass ich mich gefälligst endlich bemühen soll, meinen Bedarf selbstständig zu decken in Form von einer Beschäftigung. HÄ??? ICH STUDIERE UND HABE VIER KINDER UND SCHLAFE JETZT SCHON KAUM NOCH!

Und wäre das noch nicht genug, riskiert meine große Tochter den Rauswurf. Denn sie weigert schon wieder zum OSZ zu gehen, um ihren IBA mit MSA zu schaffen und will lieber mit BBR jobben gehen. Ich sage dazu ganz klar „NEIN!“. Ein ordentlicher Schulabschluss mit anschließender Ausbildung beziehungsweise Studium ist die einzige Chance, die man heutzutage hat, wenn man eben nicht sein Leben lang auf Sozialgelder angewiesen sein will. Aber meine Große ist voll und ganz die Generation „Existentiell indifferent“ (siehe Beitrag Sinnformel) und hat weder einen Plan noch ausreichend Grit, um am Ball zu bleiben, geschweige denn ein Gefühl für die Realität. Wobei der Begriff der Realität relativ anzusehen ist, da ihre Realität mit Sicherheit eine andere ist, als sie sein sollte. Mit anderen Worten ausgedrückt, rennt meine Tochter, getreu dem Motto „Weg des geringsten Widerstandes“, mit Vorliebe ihren aktuellen niederen Bedürfnissen hinterher und diese lauten: Essen, Trinken, Schlafen, Freunde treffen. Diese werden ergänzt durch den gesellschaftlich instrumentalisierten Konsumrausch, der in jeder stumpfsinnigen TV-Serie, TV-Werbung und im ganzen Internet durch die aktuelle Mainstream in Musik und auf YouTube-Channels wie ein Tumor in die Köpfe unserer Jugend eingepflanzt wird. Wenn sie ihre Schule hinschmeißt, bricht für mich ihr Kindergeld und der Unterhalt weg. Das ist ein Minus von 600 € monatlich. Und das würde bedeuten, ich müsste nach gerade einmal eineinhalb Jahren wieder eine neue Wohnung suchen, weil ich mir die Miete nicht mehr leisten könnte. Mit ihrem BBR bekäme sie, wenn überhaupt nur einen 450-Euro-Job. Von dem Geld müsste sie Steuern abführen und Krankenkassen beitrage zahlen. Aber halt stopp: nicht sie sondern ich! Das Ding liefe also gegen die Wand und risse mir die Beine weg. Den MSA hat sie durch Faulheit nun sowieso schon gegen die Wand gefahren. Es leiben noch zwei Optionen, bei denen sie weiterhin Schülerin bleiben könnte. Entweder sie drückt weiterhin die Schulbank und muss sich selbstständig zu Hause auf eine MSA-Prüfung im Oktober oder Februar an einer anderen Schule anmelden, oder sie absolviert zwei Praktika von Januar bis Juni 2020 mit der Aussicht auf eine anschließende Berufsausbildung. Doch wie soll ein existenziell indifferenter Teenie sich für eine Berufsrichtung entscheiden? Im Moment hilft sie ehrenamtlich in einem Altersheim aus, wo ihre achtzehnjährige Freundin auf 450-Euro-Basis jobbt. Ich habe dieses Mädchen seit November bei mir aufgenommen, da ihre Familienverhältnisse sie zu uns getrieben haben. Ich befürchte, dass meine Tochter schleichend den Verdrängungsweg der Sublimierung einschlägt. Denn es kommt gehäuft vor, dass sie unter emotionalen Ausbrüche bei dem Thema „Tod ihrer Oma / meiner Mutter“ leidet. Dies könnte dazu führen, dass sie den Verlust ihrer geliebten Oma damit zu kompensieren versucht, Alten Menschen zu helfen.

„Alles klar, ich muss runter regeln Scotty.

Das Tempo bricht mir das Genick. Wir setzen über auf einen tieferen Orbit, um die Umlaufgeschwindigkeit zu drosseln. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Noch ist es nicht zu spät. „

3 – 2 – 1

Bis bald Ihr Lieben.

Eure Maria

Schreibe einen Kommentar