Tag 14
Was genau bedeutet es vom BAföG und Wohngeld ins Hartz IV zu rutschen? Darüber möchte ich Euch heute aufklären. Es ist mit mal eben so kurz einen Antrag stellen nicht getan. Viele, die mit dieser Maschinerie nichts zu tun haben, werden mir gegenüber richtig herablassend und machen daraus: ‚Ich solle mich nicht so anstellen!‘ und ‚Einen Antrag stellen, dauere doch nicht so lange. Vielleicht vierzig Minuten. Dafür gehen andere eine Stunde arbeiten.‘ oder auch ‚Hast Du Dich schön auf Kosten von Vater Staat mit Deinen Kindern aushalten lassen und bist noch nicht zu frieden? Auch noch undankbar sein, wie?‘ und ‚ Du wagst es Dich zu beschweren, wenn Du für geschenktes Geld Felder ausfüllen sollst?‘.
STOP! Da fängt es auch schon an. Was muss ich für dieses „geschenkte“ Geld eigentlich wirklich tun? Ich verrate es Euch. Zunächst einmal werde ich gezwungen alle Änderungen sofort mitzuteilen, sonst werden Sanktionen verteilt bis hin zur kompletten Bedarfsverweigerung. Ich bin ein ehrlicher Bürger, also habe ich meine offizielle sechsmonatige Babypause, nachdem ich mit meinem drei Monate alten Baby auf dem Schoß zehn Klausuren nachgeschrieben habe, um mein erstes Halbjahreszeugnis der zwölften Klasse doch noch zu bekommen, sofort beim BAföG- und Wohngeld-Amt Bescheid gegeben und einen neuen SGBII-Antrag, auch Hartz IV genannt, beim Jobcenter eingereicht. So viel zum theoretischen Teil. Kommen wir nun zum Praktischen.
Wir fangen mit BAföG und Wohngeld an. Ich rief einen Tag nach der gemeinsamen Entscheidung mit der Schule, eine Pause mit dem Baby einzulegen und es zu stillen, anstatt es in fremde Hände abzuschieben und Flaschennahrung zu verabreichen, beim Bafög- und Wohngeld-Amt an, um meine Leistungen ab Mai mündlich abzumelden. Beim Bafög-Amt schien das kein Problem zu sein. Den zu viel gezahlten Monat in Höhe von rund eintauend Euro solle ich lediglich innerhalb von einem Monat zurückzahlen. Wir werden später sehen, wie das gehen soll.
Das Wohngeld-Amt jedoch lehnte das Einstellen der Leistungen ab mit der Begründung, die zuviel gezahlten Monate, es könnten also noch weitere zu viel bezahlte Monate hinzukommen, würden schließlich mit dem Jobcenter verrechnet werden. Ich dachte mir nichts weiter dabei und wartete ab.
Der Jobcenter-Antrag gestaltete sich etwas umfangreicher. Den Hauptantrag stellte ich am elften Mai per Einschreiben mit Rückschein, für ab dem ersten Mai mit folgenden Unterlagen:
Hauptantrag – Dieser Hauptantrag umfasste sechs Seiten und beinhaltete Fragen wie ‚Ob ich in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebe‘, ‚Asylbewerber bzw. Spätausliedler bin‘ oder ‚Mindestens drei Stunden arbeiten gehen könne‘. Auch Informationen über Krankheiten, Versicherungen, Wohnungen, Behinderungen, Einkommen, Vermögen und der persönlichen Rentenversicherungsnummer werden abgefragt. Okay, zum größten Teil verstehe ich diese Fragen ja noch, um meinen Bedarf zu berechnen sowie die Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge zu bezahlen. Doch jetzt folgen weitere Anlagen-Blätter mit sämtlichen Belegen in Kopie.
Anlage KI – Diese zwei Seiten pro Kind unter fünfzehn Jahren, also acht Seiten, geben Informationen über meine Kinder an, wie das Verwandtschaftsverhältnis, ob sie Asylbewerber und Schüler seien sowie eventuelle Krankheiten, Versicherungen und auch hier die persönliche Rentenversicherungsnummer, falls bekannt.
Anlage KDU – Hier müssen zwei Seiten über die Kosten für Unterkunft und Heizung ausgefüllt werden. Fragen über das Wohnhaus, gewerbliche Nutzung, Anzahl der Räume, Bäder, Küchen, Mietkosten- und Nebenkostenzusammensetzung, Energiequellen, Warmwasseraufbereitung kommen hier ebenso vor wie über Wohnverhältnisse (Untermieter, Hauptmieter) und Angaben zum Vermieter. Am besten man kopiert gleich den ganzen Mietvertrag inklusive aller Mieterhöhungen .
Anlage EK – Nun zum Einkommen. Es folgen weitere vier Seiten. Hier wollte das Jobcenter von meiner Bedarfsgemeinschaft wissen, ob ich einer Tätigkeit nachgehe, andere Sozialleistungen oder Rente bekomme, Kindergeld, Erziehungsgeld, Ausbildungsgeld beziehe oder sogar Sachbezüge erhalte. Es werden sämtliche Einkommen als Kopie eingefordert zum Beispiel anhand von Kontoauszügen. Doch das ist noch nicht alles. Sie wollen auch die Steuerbescheide der letzten vier Jahre sehen, wenn man in dieser Zeit berufstätig war. Ich war vor Kind Nummer Drei arbeiten, also vor drei Jahren, musste dann aber meine Selbstständigkeit dem Baby zuliebe an den Nagel hängen. Ich musste demnach noch mal gaaaaaanz tief in meinen sauberen Archiven suchen und wurde zum Glück fündig. Das Einkommen wird komplett gegen den sozialen Mindestbedarf eines deutschen Bürgers angerechnet. Wie der sich auch immer zusammensetzen mag. Vorrangig zu beantragende Leistungen wie Erziehungsgeld und Wohngeld werden komplett angerechnet und benutzt, um den Bedarf zu decken. Noch einmal: Das Erziehungsgeld wird seit 2011 zu einhundert Prozent abgezogen. Ich habe also weniger Geld als Schüler die BAföG beziehen oder Berufstätige, die wegen dem Baby das erste Jahr pausieren. Fazit: Deutschland macht die Armen systematisch noch ärmer. Mit welchem Ziel? Hat nicht jede Mutter das Recht auf abzugsfreies Erziehungsgeld? Ich habe nichts von dem Erziehungsgeld, außer noch mehr bürokratischen Aufwand und unterm Strich keinen Cent mehr trotz Baby und Schulunterbrechung. Ich werde also vom lieben Vater Staat dafür bestraft, dass ich mich für meinen Sohn und somit für das Leben entschieden habe. Ich nahm eine zweite Unterbrechung meiner schulischen Ausbildung der Liebe zu meinem Kind wegen in Kauf. Die gesetzliche Strafe lautet: Totaler sozialer und finanzieller Abstieg.
Anlage VM – Jetzt kommt das Vermögen auf vier Seiten. „Mach Dich nackig!“, lautet die Devise. Wieviele Konten besitze ich? Auch die Sparbücher der Kinder sind dran. Wieviel Bargeld trage ich bei mir? Ehrlich gesagt variiert das von Tag zu Tag. Was wollen die da genau hören, drei Euro und vierundachtzig Cent in der rechten Hosentasche, drei Cent in der Linken und zwölf Euro und dreizehn Cent in meinem Portemonnaie? Habe ich Bausparverträge oder Kapitallebensversicherungen, die man plündern kann? Habe ich vielleicht sogar ein Haus oder ein Grundstück, wodurch das Jobcenter die Miete sparen könnte? Was für ein Auto fahre ich? Das kann ich gerne sagen. Ich fahre mit großem Stolz einen siebzehn Jahre alten Subaru. Er hat schon vierhundertzweiundzwanzigtausend Kilometer unter der Haube und einen frischen TÜV. Marktwert vielleicht ein Euro plus Altmetall. So nun kommen noch eventuelle Erbstücke wie Schmuck, Antiquitäten, Gemälde oder darf es vielleicht ein vergoldeter Zahn sein, den man noch zu Geld machen könnte, um meinen Bedarf zu schmälern bzw. ganz abzulehnen? Zu guter Letzt soll ich noch angeben, ob ich in den letzten zehn Jahren etwas gespendet oder verschenkt habe.
Bitte was? Es reicht mir schon jetzt mit der Ausquetscherei und der Vollentblößung. Wollen die vielleicht noch wissen wie viel ich wiege, wie und ob ich verhüte und was ich für Lebensmittel zu mir nehme, oder was? Das geht mir hier echt zu weit! Aber ich brauche das Geld. Dringend! Für meine vier Kinder und mich. Also fülle ich weiter artig alles aus, was sie wissen wollen und suche nach Belegen und kopiere und sortiere. Ich bin jetzt schon bei rund drei Stunden Bearbeitungszeit. Aber ich bin noch nicht fertig.
Anlage UH3 – Kommen wir zum Unterhalt der Kinder, zwei Seiten pro Kind macht acht Seiten insgesamt. Für die Große bekomme ich vom Vater Unterhalt, den wir außergerichtlich vereinbart haben. Unterhaltsvorschuss bekomme ich für meinen großen Jungen. Und für die beiden Kleinen bekomme ich ebenfalls außergerichtlich geregelten Unterhalt. Noch Fragen? Ach ja, die beiden Kleinen sind unter drei Jahre. Das heißt:
Anlage UH2 – je zwei Seiten pro Kind, sind noch mal vier Seiten mit denen Unterhaltsansprüche für zwei meiner nichtehelichen Kinder vom Vater geltend gemacht werden können, da ich, aufgrund ihrer Betreuung innerhalb der ersten drei Lebensjahre, eingeschränkt bin eine Vollzeitstelle auszuüben. Der Unterhalt wird natürlich auch voll vom Bedarf abgezogen.
Nicht zu vergessen, die Anträge für die Berlin-Pässe der drei größten Kinder (BuT – Leistungen für Bildung und Teilhabe). Hierfür werden noch einmal pro Kita- bzw. Schulkind zwei Seiten ausgefüllt, also bisher sechs Seiten.
Ich fasse ein letztes Mal den Umfang für meinen Hartz IV-Antrag zusammen:
Antrag-Seiten inklusive BuT: 42
Nachweise in Kopie: 38
Macht insgesamt: 80 Seiten
Bearbeitungsdauer (mit Still-Baby): ca. 6 Stunden
Gefühle: Erniedrigung, Entblößung, Scham, Versagen, Demotivation, Erschöpfung, Peinlichkeit, getrübter Selbstwert, Frust, Depression
Bearbeitungsdauer (Jobcenter): 7 Wochen
1. Reaktion: Anspruch für Mai abgelehnt. Begründung: Ich erhalte Wohngeld. Das Wohngeld sollte doch mit dem Jobcenter verrechnet werden! Anspruch für Juni zweiundneunzig Euro. Anspruch für ab Juli rund sechshundert Euro. Das reicht hinten und vorne nicht mit vier Kindern. Das sind etwa eintausend Euro weniger als mit BAföG und Wohngeld. Und das, obwohl ich ein Baby mehr im Haushalt habe und im Erziehungsjahr bin. Das ist kinder- und familiendiskriminierend.
Konsequenz: BAföG für Mai soll von mir zurückerstattet werden ca. 1.160 €.
Ich schalte zum wiederholten Male rightmart ein, die Jobcenter-Anwälte. Die werden für mich Widerspruch einlegen, damit ich auch das bekomme, was mir zusteht, um meine Kinder und mich menschenwürdig zu versorgen. Ich ging zum Wohngeld-Amt, um das Missverständnis zu klären. „Tut mir leid. Ihre zuständige Bearbeiterin ist nicht im Haus. Kommen Sie bitte Ende Juli wieder.“, lautete die Antwort. Das BAföG-Amt schickt mir eine Mahnung über die eintausendeinhundert und rund fünzig Euro für Mai, die ich nicht zahlen kann. Also schreibe ich einen lieben Brief und bitte um Geduld, bis sich die Sachlage mit dem Jobcenter und dem Wohngeld-Amt geklärt hat. Im Hintergrund läuft noch der Antrag für den Kita-Gutschein beim Jugendamt, damit mein Sohn ab Oktober eingewöhnt werden darf.
Und dieser ganze Aufwand für sechs Monate Babypause und rund sechshundert Euro monatlich.
Fortsetzung folgt …
Bildquelle: http://www.hartziv.org/formulare.html